Vereinsgründung

Die Gründung des Vereins im Jahre 1912 und die Entwicklung bis 1914

Als sich am 1. Februar 1912 zwölf Sportkameraden zum „Radsport-Verein Zugvogel“ zusammenschlossen, war die Welt noch so ziemlich in Ordnung.

Es reagierte Kaiser Wilhelm II., der Luxusdampfer „Titanic“ lag noch im Trockendock und die Granaten des 1. Weltkrieges brachte noch nicht Tod und Verwüstung. Zu dem enormen Aufbau und Aufschwung der Industrialisierung in jenen Jahren vor und nach der Jahrhundertwende strebten die Menschen auch nach Ausgleich. Eine Möglichkeit unter vielen war z. B. der Sport. Man denke nur einmal an die vielen Vereinsgründungen der Ball- und Rasensportvereine (Hannover 96, Schalke 04) aus jener Zeit. Doch wie die Chronik selbst auch schreibt, „es war nicht `Vereinsmeierei`, die die Veranlassung hierzu gab, sondern wohl durchdachte Gründe“.

Rudolf Mengler, BC Albatros

Schon seit acht Jahren bestand hier in Hannover ein Konsulat der „Allgemeinen Radfahrer-Union“. Hatte die A.R.U. in Süddeutschland einen ausgedehnten Anhängerkreis, so war sie im Gegensatz dazu in Norddeutschland nur schwach vertreten, wo neben dem „Arbeiter-Radfahrer-Bund Solidarität“ hauptsächlich der „Deutsche Radfahrer-Bund“ am stärksten war.

Dem Konsulat der A.R.U. gehörten zwölf Gründer des Vereins (Mittendorf, Käseberg, Robert Bock, Facklam, Redemann, Willy Bernhard, Henry Hagedorn, Wildhausen, Fritz Lüderitz, Haasemann, Backhoff und W.Bode) als Einzelfahrer an. „Da es sich nun in den Sitzungen des Konsulates immer mehr und mehr bemerkbar machte, dass der Jugend durch die älteren Herren an ihren Vorwärtsstürmen nach rennfahrlicher Betätigung Fesseln angelegt wurde, andererseits die durchweg unverheirateten Leute frei werden wollten von Familiensimpelei und ihren Auswüchsen in feministischen Reibereien, kam der Gedanke zur Gründung eines Vereins“. (Zitat Chronik)

Die Zeiten ändern sich, die „stürmischen Sitzungen“ sind längst in „harmonische“ Diskussionen übergegangen und die feministischen Reibereien sind einer tatkräftigen Unterstützung gewichen, ohne die im Verein so manches nicht funktionieren würde. Viele große Radrennen wurden in jenen Jahren ins Leben gerufen. International z. B. die „Tour de France“ (1903), der „Giro d`Italia“ und als älteste Rundfahrt die Belgien-Rundfahrt. Als ältester Eintagsklassiker wird heute noch Lüttich-Bastogne-Lüttich (1892) gefahren, aber auch Paris-Roubaix (1896), Flandern-Rundfahrt (1913), Mailand-San Remo (1907) und die Lombardei-Rundfahrt (1905) sind nicht viel jünger.

1913 rief der RV Zugvogel „sein“ Rennen in Leben – den „Großen Heidepreis“, der auf der Strecke Hannover-Walsrode zurück gefahren wurde. Es war ein offenes Rennen für alle Herrenfahrer, die der A.R.U. angehörten. Darüber hinaus gab es in Hannover noch den „Großen Straßenpreis“ für Berufsfahrer mit einer für heutige Verhältnisse fast unvorstellbaren Länge von 340 km.

Überhaupt wurden damals im Vergleich zu heute sehr lange Rennen gefahren. So z. B. Berlin – Cottbus – Berlin mit 240 km, Rund um Köln mit 250 km, Rund um Frankfurt mit 221 km oder Bochum – Münster – Bochum mit 287,8 km. Das alles jedoch nicht auf auf sogenannten „Asphaltteppichen“ heutiger Art. Damals war das Kopfsteinpflaster vorherrschend, und es gab auch noch zum Teil unbefestigte Straßen. Wenn die Straße wirklich einmal glatt war, so lässt sich das trotzdem nicht mit den heutigen Verhältnissen vergleichen. Auch zwischen den Rädern von damals und heute liegen Welten, die kaum vorstellbar sind. Der technische Fortschritt ist auch hier nie stehen geblieben, und die vielen technischen Dinge – noch nicht einmal die kleinen Raffinessen, sondern das, was für uns heute Standard ist – wären damals die reinste Utopie gewesen.

Fritz Kramer, Deutscher Straßenmeister 1922

Zurück zum RV Zugvogel. In der ersten Rennmannschaft des Vereins fuhren Facklam, Mittendorf, Käseberg, Windhausen, Lüderitz und Bode. Später kamen noch Liegerer, Kugel und Jarella hinzu. Seinen wertvollen Zuwachs, der die Basis für die spätere sportliche Stärke bildete, erhielt der junge Verein dadurch, dass er sich durch Erfolge in kurzer Zeit Geltung unter den hannoverschen Vereinen verschaffte.

Auch der Wandersport und die Geselligkeit haben schon damals eine gute Pflegestätte im Verein gefunden, „und es war immer erfreulich, wenn die jungen Leute unter Lachen und Scherzen hinausfuhren in die freie Natur, wo die Herzen sich weiteten und der Körper die Kräfte aufsog, die ihn befähigten, sowohl jetzt im friedlichen wie auch einige Jahre später im blutigen Streite einen ganzen Mann zu stellen“. (Zitat Chronik). So manche heitere Erinnerung lebte noch lange unter denen weiter, denen es vergönnt war, sich darüber hinaus in die Zeit danach zu retten.

Das Vereinsleben wurde jäh im August 1914 unterbrochen, als fast sämtliche Mitglieder sofort eingezogen wurden. Der Weltkrieg brachte überall Entbehrungen und riss fühlbare Lücken. So auch unter den Mitgliedern des RV Zugvogel. Zehn seiner Besten kehrten nicht zurück. Eine Blockade der Kriegsgegner bewirkte, dass es Gummibereifung nur noch für militärische Zwecke gab. Wer dennoch nicht auf sein Rad verzichten wollte, musste auf „federnder Ersatzbereifung“ fahren und rasselnd, fast wie in den letzten Jahrzehnten es vorigen Jahrhunderts, durch die Straßen schaukeln. Somit hörte in jenen Jahren des 1. Weltkrieges auch fast jede Vereinstätigkeit auf.